Open Source in Deutschland: Strukturwandel oder Strohfeuer?

Der Einsatz von Open Source Software (OSS) im öffentlichen Sektor gewinnt immer mehr an Bedeutung. Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Institutes untersucht die Wechselwirkung zwischen IT-Anbietern und öffentlicher Verwaltung.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Jochen Günther
  • Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft
  • Organisation (IAO)
Inhaltsverzeichnis

Die Studie "Open Source Software: Strukturwandel oder Strohfeuer" des Fraunhofer-Instituts Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) untersucht einerseits öffentliche Einrichtungen als exemplarische Anwendergruppe, bei der OSS immer mehr an Verbreitung gewinnt. Andererseits werden die Auswirkungen des zunehmenden Open-Source-Einsatzes auf die Wertschöpfung von IT-Anbieterunternehmen analysiert. Zudem soll die Studie verdeutlichen, welchen Effekt der wachsende Einsatz von OSS auf den IT-Standort Deutschland – und auch, welche Beschäftigungswirkung Open Source entfaltet.

Insgesamt wurden 2000 öffentliche Einrichtungen von lokalen Behörden (Größenklassen 1 bis 6), in denen die Durchdringung mit IT besonders hoch ist, bis zu Bundesministerien angeschrieben. Hierbei konnten 115 Antworten erhalten werden. Von den angesprochenen Geschäftsführern oder Inhabern von IT-Unternehmen antworteten 94. Dabei handelte es sich sowohl um Unternehmen, die OSS in ihrem Produkt- und Dienstleistungsspektrum einsetzen, als auch solche, die kein Open Source einsetzen.

Die Zusammensetzung der Rückläufer auf die verschiedenen Größenklassen aller befragten Einrichtungen erlaubt eine gute Übertragbarkeit der Ergebnisse. Die Teilnehmer der Befragung sind überwiegend als Entscheidungsträger anzusehen und somit oft auch Meinungsführer innerhalb ihrer Einrichtungen. Damit ergab sich auch aus qualitativer Sicht eine gute Basis für die Befragung.

Die wesentlichen Resultate im Bereich der öffentlichen Verwaltung: Etwas mehr als die Hälfte der befragten öffentlichen Einrichtungen beschäftigt sich seit über drei Jahren mit dem Thema Open Source Software. Nur ein Fünftel befasst sich gar nicht mit dem Thema; Hauptursache dafür sind neben einer knappen Ausstattung mit Personalressourcen technische Gründe wie eine befürchtete mangelnde Interoperabilität mit der bestehenden IT-Infrastruktur.

Für fast 60 Prozent ist die Umstellung auf Open Source Teil einer mittel- oder langfristigen IT-Gesamtstrategie mit dem Ziel, systematisch betriebskritische Teile der IT-Landschaft auf Open Source zu migrieren. Punktuelle Strategien wie der kurzfristige Einsatz zur Überbrückung von Problemen spielen keine Rolle. Die Ergänzung der IT durch quelloffene Anwendungen vor allem in den Bereichen Office-Anwendungen, IT- oder Telefonie-Infrastruktur und Desktop-Systeme ist für die befragten öffentlichen Einrichtungen der wichtigste Einsatzzweck.

Die meisten neu eingeführten Open-Source-Lösungen entfallen auf den Bereich der Fachverfahren, die verstärkt mit Hilfe Open-Source-basierter Middleware realisiert werden. Open-Source-Anwendungen haben im Bereich web-basierter Anwendungen eine traditionell hohe Verbreitung. Das Ende des Lebenszyklus von Fachanwendungen wird teilweise gezielt ausgenutzt, um eine Plattformunabhängigkeit von Applikationen durch deren web-basierte Umsetzung zu erreichen. In diesen Zyklus fallen Beschaffungsentscheidungen für neue Benutzer- oder Serverplattformen, die nicht mehr an die Systemanforderungen der proprietären Alt-Systeme gebunden sind.

Im Bereich der Lizenz- und Betriebskosten führt Open Source zu teilweise erheblichen Einsparungen – 47 Prozent der Teilnehmer gehen von Kostensenkungen von mehr als 50 Prozent aus. Weitere 20 Prozent sehen eine Kostensenkung von bis zu 25 Prozent.

Von Aufträgen öffentlicher Einrichtungen bei Open-Source-Projekten profitieren überwiegend regionale und IT-Unternehmen: kleine regionale oder nationale Unternehmen halten einen hohen Anteil von rund 83 Prozent der Beauftragungen. Mit deutlichem Abstand folgen große regionale oder nationale Unternehmen (23 Prozent) sowie internationale Unternehmen (17 Prozent).

Im Bereich der genannnten interessanten Kundenfelder bestehen zwischen den befragten Open-Source- und Nicht-OSS-Unternehmen keine großen Unterschiede – mit zwei Ausnahmen: Öffentliche Verwaltung, Sozialversicherung und Verteidigung sowie Bildung und Gesundheit. Diese Bereiche sind für Open-Source-Unternehmen deutlich attraktiver als für Unternehmen, die keine Open Source anbieten. Offenbar kommt das Geschäftsmodell von OSS-Unternehmen in diesen beiden Kundenfeldern besonders zum Tragen, da die öffentliche Hand mit knappen Mitteln haushalten muss.

Für gut die Hälfte der befragten Unternehmen, die Open Source als Dienstleistung oder Produkt (mit) anbieten, spielt Open Source eine mittlere bis sehr große Rolle und macht mehr als 25 Prozent Umsatzanteil aus. 18 Prozent der Unternehmen sind praktisch vollständig von ihren OSS-Aktivitäten abhängig, 35 Prozent glauben, dass sie ohne ihre Open-Source-Aktivitäten nicht mehr überlebensfähig wären.

Wichtigste Triebfedern für die Beschäftigung mit OSS sind die freie Verfügbarkeit der Software sowie das persönliche Engagement oder Interesse von Mitarbeitern. Externe Faktoren spielen nur eine untergeordnete Rolle: Dass auch Wettbewerber zunehmend OSS anbieten, ist nur für ein Viertel der befragten Unternehmen ein Anlass, sich mit OSS auseinanderzusetzen.

Der größte Teil der befragten Unternehmen erwartet in Zukunft eine gleich bleibende oder wachsende Anzahl von Mitarbeitern. Dabei glaubt ein gutes Drittel der OSS-Unternehmen, dass sie ihren Bedarf an Fachkräften aus dem Bereich Open Source nicht decken können. Gut 70 Prozent der Open-Source-Unternehmen schätzen, dass der Einsatz von OSS bei ihnen zu verwertbaren Produktinnovationen führt.

Die öffentlichen Verwaltungen sind Treiber für den Einsatz von Open Source, wobei die anhaltenden Veränderungen und Umstrukturierungen bei den öffentlichen Einrichtungen auch in den nächsten Jahre zu weiteren OSS-Projekten führen werden. Der öffentliche Sektor setzt Open-Source-Software schon jetzt in überdurchschnittlichem Maße ein, wobei mit weiter steigender Verbreitung von open Source im öffentlichen Sektor zu rechnen ist. Bei der Neueinführung von Fachverfahren spielt Open Source eine bedeutende Rolle, da in diesem Bereich verstärkt Open Source-basierte Middleware oder web-basierte Anwendungen zum Einsatz kommen.

Für OSS-Unternehmen ist das Kundenfeld der öffentlichen Dienstleister deutlich interessanter als für Nicht-OSS-Unternehmen. Dies ist vor allem auf die Vorteile bei den Lizenz- und Betriebskosten sowie der von Kundenseite erwarteten höheren Flexibilität und Unterstützung von Standards zurückzuführen. Aufträge der öffentlichen Verwaltungen im Bereich Open Source gehen bevorzugt an kleine und mittlere, regionale und nationale Dienstleister. Die öffentlichen Einrichtungen rechnen mit einer Steigerung der Dienstleistungskosten von bis zu 25 Prozent, die überwiegend OSS-Unternehmen zu Gute kommen werden.

Die höhere Innovationskraft der OSS-Unternehmen, die Unterstützung offener Standards sowie die Vorteile bei Lizenzkosten und die überwiegend regionale Beauftragung lassen die OSS-Unternehmen in Hinblick auf öffentliche Einrichtungen wettbewerbsfähiger als Nicht-OSS-Unternehmen wirken. Der hohe OSS-Anteil bei der Neueinführung von Fachverfahren erhöht damit auch den Druck auf Anbieter proprietärer Verfahren, sich mit Open Source auseinanderzusetzen.

Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen folgern, dass der Einsatz von Open-Source-Software zu mehr Beschäftigung in Deutschland führen kann.

Es ergeben sich folgende wesentliche Handlungsempfehlungen:

  • Die Befürchtung einer mangelnden Interoperabilität mit der bestehenden IT-Infrastruktur wird als größtes Hindernis für die Einführung von Open Source gesehen. Daher müssen die öffentlichen Einrichtungen dazu übergehen, eine Migration hin zu offenen Datenformaten und -standards vorzunehmen und deren Ablauf gezielt planen, um das Zusammenspiel von kommerziellen und Open Source-Anwendungen zu verbessern. Nötig ist eine "Strategie offener Austauschformate", die OSS zu mehr Chancengleichheit verhilft: Die Verwendung von Standards erleichtert die Austauschbarkeit von Anwendungen innerhalb der bestehenden IT-Infrastruktur einer Einrichtung.
  • Rückblickend haben sich die Entscheidungen für Open Source in der öffentlichen Verwaltung gelohnt. Entscheidungsträger in der Politik und öffentlichen Verwaltung sollten diese Ergebnisse ermuntern, die Vorteile von OSS-Anwendungen zu prüfen und Open Source einzusetzen. Auch IT-Unternehmen sollten die Vorteile, die der Einsatz von Open Source Software bietet, genau prüfen – nicht zuletzt, da derzeit verstärkt Fachverfahren mit quelloffener Software realisiert werden. Anbieter proprietärer Lösungen sollten daher prüfen, wo die Erweiterung ihres Dienstleistungsangebots um Open Source neue Chancen im Wettbewerb und ein gesteigertes Innovationspotenzial bieten kann.
  • Open Source führt verstärkt zu regionaler Wertschöpfung und stärkt das Innovationspotenzial der IT-Unternehmen. EU-Kommission sowie Bundes- und Landesregierungen sollten daher verstärkt Mittel in die Förderung von Informationstechnologie und Open-Source-Software umschichten. Das bietet die Chance, dass aus öffentlichen Mitteln wieder "öffentliche Güter" in Form von OSS entstehen, die dann sowohl öffentlichen Einrichtungen als auch IT-Unternehmen zur wirtschaftlichen Verwertung frei zur Verfügung stehen.

Studie: http://www.iao.fraunhofer.de/d/oss_studie.pdf

Executive Summary: http://www.iao.fraunhofer.de/d/summary_oss.pdf

Die Studie "Open Source Software: Strukturwandel oder Strohfeuer" wurde von IBM, Novell und der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) in Auftrag gegeben.

Kontakt:

Dipl.-Wi.-Ing. Jochen Günther
Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)
Marktstrategieteam Collaborative Business
Nobelstraße 12
70569 Stuttgart (odi)